Textleichentuch Ingeborg Bachmann
Das Textleichentuch thematisiert in zyklisch angelegten Flächen Aussagen aus dem Buch "Ich weiß keine bessere Welt. Unveröffentlichte Gedichte" von Ingeborg Bachmann.
Ingeborg Bachmann ist eine der bedeutendsten Schriftsteller/innen des deutschen Sprachraums. Die Inhalte, wofür sie schrieb, haben bis dato an Aktualität nicht eingebüßt, im menschlichen Sinne nicht, im politischen Sinne nicht. Das Textleichentuch entstand während der Gestehung des Buches "Ich weiß keine bessere Welt. Unveröffentlichte Gedichte". Es greift Anliegen, Texte und Gedichte (teilweise Kopien der Originalhandschrift) Bachmanns auf und collagiert diese zu zyklisch angelegten Kernaussagen. Die verwendeten Texte und Bilder wurden dankenswerterweise von Bachmanns Erben zur Verfügung gestellt.
Die erste Hängung erfolgte im Zuge der Buchpräsentation anno 2000 in der Österreichischen Nationalbibliothek, die zweite während der Veranstaltungen zum 30. Todestag anno 2004 im Museum für angewandte Kunst in Wien.
BESPRECHUNG TEXTLEICHENTUCH
Robert Kana
Auf einen 6 x 6 Meter Stoff sind Texte von lngeborg Bachmann gespannt. Verschwimmen im Bild, unter der Flut des Weiß. Spermagrauweiß, die grundgelegte Farbgebung, nuanciert in allen Möglichkeiten, wie es eben dem Stoff zukommt.
Das Bild, eine Strukturierung, Zerklüftung eigentlich, weil zerklüftetes Leben einer Frau, zerklüftetes Leben einer Schriftstellerin, einer Frau in unserer Geselllnschaft. Welche Richtung? Wohin wenden? Keine Karriereplanung möglich. Brüche, Spalten, Klüfte dieser Frau abverlangt. Allen Frauen, weil sie Frauen sind. Vollgespritzt von Spermagrauweiß. Gesellschaftliches spermagrauweiß. Kirchliches spermagrauweiß. Politisches Spermagrauweiß.
Ein Leiden, das sich sukzessive einstellt, auch biografisch nachhaltig erst kommt. Eine Geordnetheit zu Beginn (links oben das Bild zu lesen beginnend), um Ordnung bemüht, dringen die Klüfte stärker zu Tage, erweitern das eigene Frauenleben nicht; sondern spalten es.
Worte in das Bild gemalt. Frauenworte von Frauenhänden. Texte einer Frau, die ringt um ihr Frausein, die ringt um männliche Selbstverständlichkeit: und damit scheitert. Kalte Verbrennung innerlich, gewandt in Worte gefasst. Nun als Bild gefertigt. Jetzt ist mann gezwungen, sich das auch noch anzusehen. An Männer geschriebene Worte, an Männer gemaltes Bild.
Ein Entsetzen soll sichtbar werden, ein Entsetzen sich einstellen, als kategorischer lmperativ gemeint. Das Entsetzen einer Frau in Wort und Bild. Das Entsetzen von Frauen in unserer Geselllnschaft. So gerne verleugnet. Es geht ihnen doch nichts ab. So gerne von Männern verleugnet. Ausbeutung von Frauen durch Männer, auch spermagrauweiß.
Eine Frau sein, und nicht als Frau anerkannt sein, männlich anerkannt werden wollen. Die lnhalte der Frau, versprüht, verspritzt wie eben dies. Weil Frauen verwiesen werden auf eben ihr Frausein, spremagrauweiß bekleckst.
Schwarze Tinte als Waffe dagegen, ebenso bedeutungslos bedeutend gespritzt, blutschwarz gefärbte Augen, die starren. Wüste Lebendigkeit im lnnern, Teil 5, streng abgezirkelt, ein. Ende bezeichnend bezeichnend. Das Leintuch wird zum Leichentuch nun, im Sarkopharg der Worte, im Sarkopharg der Zeichen, von denen Schönheit verlangt wird.
Das Weiche des Leintuchs, die Ruhe und erwünschte Entspannung will sich nicht einstellen, obwohl der Erfolg es versprochen hat, erstarrt mit zunehmender Betrachtung. Kalte Körperstarre, wie im Tod nur sichtbar, ein Wortleichentuch geworden.
Als Künstlerin begonnen haben, als Frau geendigt sein. Gebettet in spermagrauweißes Textleichentuch. Es geht nicht anders.
Was eine Frau erfährt, wenn sie tut, was Männer tun, ist eingegraben hier, gekerbt in Tuch, eingeschrieben groß. Die leeren Flächen sind blinde Flecken, spermagrauweiß geblendet. Matratze hießen die DDR-Schriftstellerinnen im Kreise ihrer Männerkollegen. Sie durften nicht durch, nicht durch durch die spermagrauweiße Farbe, die sie umgibt.
Der Tod tut nicht mehr, es ist vorbei. Das Getötetwerden tut weh, und ist greulich anzusehen, der Erstickungstod im Textleichentuch dokumentiert. Der Erstickungstod einer innen kalt und außen heiß verbrannten Frau. Eingegraben nun in spermagrauweißes Tuch, erstickt die Schreie, erstickt das Leiden. Gewöhnungsbedürftig weil allzu gewohnt.
Die Schriftzeichen der Schriftstellerin malen sich fort im Bild, ihre Texte, ihre Gewaltigkeit, flockt immer mehr aus, spiegelt sich immer mehr im Bild selbst, rotiert das Bild um die eigene Achse, lässt frei den Raum, der sie umgibt. Der freie Raum ist weiß. Spermagrauweiß.
Das Bild in fünf thematische Teile gespalten, durch Zahlen sichtbar gemacht. Thematische Teile, die Lebensteile sind, und am Ende beinahe angekommen, die Zahl 4, klinischer Sterilität, die sie übergibt dem letzten großen Finale. Der kalten Verbrennung im lnnern, im letzten nun. Das Ende des Bildes (Reihe ganz unten), ein Werk der Erben nun, die bemüht sind, auf Säulen gleich, das Bild einer Frau zu tragen, die gelitten hat spermagrauweiß.
Informationen zum Buch
Drei Jahrzehnte nach ihrem tragischen Tod öffnen sich nun endlich die Archive und geben Ingeborg Bachmanns persönlichste Gedichte preis. Trauer um ihre verlorengegangene Poesie und eine tiefe Sprachlosigkeit umfangen Ingeborg Bachmann in ihren privatesten Momenten. Sie, die in einem Atemzug mit den größten Lyrikerinnen der europäischen Moderne genannte werden muss, leidet an der Welt und verzweifelt an der Lieblosigkeit in ihr. Der Schmerz der Erkenntnis, der unstillbare Wunsch zu schlafen, Todessehnsucht, durchziehen leitmotivisch all jene Gedichte, die bis heute unter Verschluss gehalten wurden. Knapp dreißig Jahre nach ihrem Tod steht der aufsehenerregende Entschluss ihrer Geschwister, eine Seite von ihr zu offenbaren, ohne die das Bild von Ingeborg Bachmann nicht vollständig wäre.